Erlebnisbericht Herr Zschoche

Meine Erinnerung an die Domäne Hebenshausen in den Jahren 1960-62

Karl-Heinz Zschoche, ein Jugendbild

Im März 1960 begann ich meine Tätigkeit an der Domäne Hebenshausen. Meine Aufgabe war es, landwirtschaftliche Wertprüfungsversuche zu betreuen. Das Bundessortenamt Hannover war die oberste dafür zuständige Behörde. Laut Saatgutgesetz musste jede neu gezüchtete Sorte einer landwirtschaftlich genutzten Pflanzenart auf ihre Anbauwürdigkeit geprüft werden, bevor der Züchter dieser Sorte deren Saatgut verkaufen durfte. Damit alle Regionen der Bundesrepublik berücksichtigt werden konnten, beauftragte das Bundessortenamt verschiedene Landesbehörden mit der Durchführung. Für Hessen war dies die Universität Gießen. Das Land Hessen wiederum hatte in ihren Pachtverträgen für die Domänen den Pächtern die Verpflichtung auferlegt, ein der Landwirtschaft dienendes Projekt zu unterstützen. Und so kam ich von Gießen nach Hebenshausen. Soweit also die Vorgeschichte.
Ich bekam ein Zimmer im Herrenhaus, das von der Pächterfamilie Völke bewohnt wurde, zugewiesen. Ich aß mit der Familie an einem Tisch. Dazu gehörte das Pächterehepaar, ihre Kinder (ich kann mich an 4 erinnern, es können auch 5 gewesen sein) und das Dienstpersonal bestehend aus einer Wirtschafterin und zwei Dienstmädchen. Gelegentlich kamen noch Gäste der Familie dazu, also ein langer Tisch. Und der war stets gut gefüllt. Für einen relativ kleinen Geldbetrag wurde ich wirklich großartig bewirtet.
Meine Versuchsfläche bekam ich direkt hinter dem Dorf an der Eisenbahnlinie auf sehr gutem Ackerland zugewiesen (war der Flurname Meierbreite?)
Der Gutsbetrieb war ein Allroundbetrieb. Mit Ackerbau, Tierhaltung und Gartenbau war der Betrieb breit gefächert.

Der Ackerbau: Um die 250 Hektar belief sich die gesamte Fläche der Domäne, der größte Teil davon war Ackerland. Westlich der Bundesstraße 27 waren schwer zu bearbeitende Böden aus Keuper und Buntsandstein während die östlichen, mehr im Tal liegenden Flächen, aus fruchtbarem Lößlehm bestanden. Auf den erstgenannten Flächen wurde hauptsächlich Winterraps, Weizen und Gerste angebaut während die guten Böden den Anbau von Zuckerrüben, Gemüse und Weizen zuließen. Der Raps wurde noch mit dem Mähwerk auf Schwad gelegt und später im Pickup-Verfahren gedroschen. Beim mähen des Rapses saß ich hinter dem Abteiler und half mit einem Haken nach, den ineinander verwickelten noch relativ grünen Raps zu teilen Die Körnerverluste waren vor allem bei unsicherer Witterung relativ hoch. Der Zuckerrübenanbau war noch nicht so stark mechanisiert wie heute. Leider lässt mich meine Erinnerung im Stich über die Erntemethode. Es gab wohl noch keinen Vollernter. Das Rübenblatt wurde noch verfüttert (heute wird es meistens gehäckselt und dem Boden wieder zugeführt). Der Abtransport der Rüben geschah mit eigenen Fahrzeugen in die Zuckerfabrik Obernjesa und Warburg (dorthin wahrscheinlich per Bundesbahn). Der Gemüseanbau spielte eine sehr große Rolle. Hauptsächlich wurden Pflückerbsen, Buschbohnen und Rosenkohl angebaut. Die Erbsenernte wurde bis 1961 per Hand durchgeführt. Saisonarbeitskräfte standen noch ausreichend zur Verfügung. Viele kamen aus Eichenbergs Eisenbahnersiedlung. Es wurde im Akkord gepflückt. Pro Zentner (damals noch übliche Maßeinheit = 50 Kilogramm) gab es 6 D-Mark. Für den Zentner Buschbohnen 9 D-Mark. 1962 wurde die Erbsenernte mechanisiert. Die Erbsen wurden abgemäht und auf einen Wagen gefördert. Auf dem Hof stand eine Dreschmaschine, die die Erbsen schonend mit viel Wassereinsatz von den Hülsen befreite. Das Erntegut musste sofort auf +4C° runtergekühlt werden. Dazu war es erforderlich geworden, eine Kühlkammer zu bauen, die auch im restlichen Jahr als Riesenkühlschrank genutzt werden konnte. Zuvor bis 1961 wurden nur die Hülsen von der Gemüsefabrik abgeholt. Die Mechanisierung der Bohnenernte stand bevor, sie wurde aber erst nach meinem Weggang 1962 aktuell. Als Nachbau nach Erbsen oder Bohnen wurde ein Teil der Fläche mit Rosenkohl bepflanzt, teilweise wurden auch spät noch mal Bohnen nach Bohnen gesät. Zwei Ernten im Jahr waren natürlich ideal! Der Rosenkohl wurde auch im Akkord auf dem Feld gepflückt; Wie das vergütet wurde ist mir nicht bekannt.
An den Maschinenpark kann ich mich nicht mehr genau erinnern, vor allem was die Anzahl und Stärke der Traktoren angeht. Mähdrescher gab es zwei. Fabrikat „Claas“ und die Besonderheit: sie wurden von Traktoren gezogen. Dies war um diese Zeit eher noch die Ausnahme, doch Otto Völke hielt dies betriebswirtschaftlich für sinnvoll. In einem meiner 3 Jahre Hebenshausen fiel in der Erntezeit reichlich Regen, es muss 1960 gewesen sein. Als Ende August endlich trockneres Wetter aufkam, drängte natürlich die Zeit und es kam ein Mähdrescher (Selbstfahrer) aus Südhessen zu Hilfe.
Die Technik, die zur Erbsenernte nötig war, wurde von der Konservenfabrik zur Verfügung gestellt.

Die Viehwirtschaft: Milchvieh- und Schweinehaltung gehörten damals zu fast jedem Ackerbaubetrieb, so auch hier, An Stückzahlen kann ich mich nicht erinnern. Für die Kühe war ein Melker zuständig (Rosebrock??). Die Futtergrundlage war Heu und Feldfutter (Zuckerrübenblatt, Rosenkohl). Die Schweine wurden als Mastschweine gehalten, zum Teil selbst geschlachtet und direkt vermarktet.

Die Gärtnerei: Eine eigene Gärtnerei mit Gewächshäusern befand sich auf der anderen Seite der Bundesstraße. Das Personal bestand aus einem Gärtner (Viktor Pitsch) einem männlichen und mehreren weiblichen Hilfskräften. Es wurden Schnittblumen und Topfpflanzen produziert. Im Kaltgewächshaus wurden Nelken angezogen. Vermarktung geschah durch Direktverkauf im Laden sowie auf dem Wochenmarkt in Göttingen. Dort wurden auch Beeren aus dem Freigelände, Eier und Wurstwaren verkauft. Dafür stand ein Lieferwagen zur Verfügung. Die Beerenernte sowie Anbau von Gemüse und deren Vermarktung wurde in Regie von Frau Völke und dem Hauswirtschaftsteam durchgeführt. Die Einnahmen daraus standen allein der Hauswirtschaft zur Verfügung.

Das Personal: Die Domäne spielte als Arbeitgeber für Hebenshausen keine unwichtige Rolle. Neben dem Pächter Otto Völke sind mir in Erinnerung geblieben: Herr Gronow als Verwalter, Herr Lambß ebenso, aber hauptsächlich in der Funktion eines Vorarbeiters. Die Werkstatt, eher einer Schmiede ähnlich, wurde durch einen der Gebrüder Schlote betrieben, der andere Bruder war Schlepperfahrer. Nach meiner Erinnerung standen etwa 6 bis 8 Männer für die Feldarbeit zur Verfügung, weitere Namen sind mir entfallen. Und gefeiert wurde auch! Das Erntefest Ende August war eine größere Sache. Die Blechkuchen wurden im Dorfbackhaus gebacken. Das weiß ich deshalb noch, weil ich am Transport der Bleche durch das Dorf beteiligt war. Die Feier zog sich dann etwas sehr in die Länge. Meist ging es bis in die frühen Morgenstunden. Völkes hatten dazu auch Gäste aus ihrem Bekanntenkreis eingeladen.

13. August 1961
Dieser Tag fiel auf einen Sonntag. Ich besuchte an diesem Wochenende meine Eltern im hessischen Hinterland, Kreis Biedenkopf, wo auch ich vorher wohnte. Die Nachrichten an diesem Morgen schreckten mich hoch: In Berlin wurde die Mauer gebaut und die innerdeutsche Grenze war dicht! Was würde das für Auswirkungen auf Hebenshausen haben? In meinem Wohnort war das nur ein Randthema, am Montag darauf in Hebenshausen war das ganz anders. Es war das Thema. Eine Mitarbeiterin in der Gärtnerei war besonders betroffen; ihre Eltern wohnten in Kirchgandern (oder Hohengandern?). Bislang waren Besuche noch möglich, jetzt plötzlich nicht mehr. Man konnte sich noch zuwinken, auch Päckchen über den Zaun werfen war noch möglich. Dann wurde der Grenzstreifen erweitert, Kontakte abgeschnitten. Der Name der Frau ist mir entfallen. Sie dürfte zwischen 85 und 90 Jahre alt sen. Ich selbst bin 12 Jahre später, mit Wut im Bauch, erstmals über diese Grenze gefahren, um meine Verwandten zu besuchen. Die deutsche Teilung hat damals die Gegend sehr geprägt, jetzt liegt Hebenshausen mitten in Deutschland!

Fazit: Meine Zeit in Hebenshausen liegt lange zurück. Manche Details sind mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben, vieles ist aber in Vergessenheit geraten. Für mich war Hebenshausen nur ein relativ kurzer Zeitabschnitt. Ich denke aber immer noch gern an die Zeit auf der Domäne Hebenshausen zurück. Sollten Zeitzeugen Fehler in meinen Erinnerungen finden, bitte melden!

Karl Heinz Zschoche im Jahr 2018

Information des Vereins Heimatgeschichte Hebenshausen e.V.:
Wir haben Hr. Zschoche gebeten seine Erlebnisse aufzuschreiben und um Veröffentlichung gebeten. Hr. Zschoche hatte über das Gästebuch der Internetseite „Gemeinde Neu-Eichenberg“ versucht Kontakt zu ehemaligen Arbeitern des Rittergutes aufzunehmen. Leider vergebens, viele sind verzogen oder verstorben. Sollte sich dennoch jemand finden, so kann er sich über die Mailadresse info@heimatgeschichte-hebenshausen.de melden.

 


Autor:
Karl-Heinz Zschoche, Oktober 2019

Das Rittergut im Jahr 1957
Die Gärtnerei der Domände im Jahr 1957

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