Nationalsozialismus

Die Mitglieder des Heimatvereins Heimatgeschichte Hebenshausen e.V. digitalisieren seit dem Jahr 2007 Fotos und Unterlagen zur Ortschaft Hebenshausen. Sie sprachen mit den Ältesten des Ortes und sammelten so die letzten Erlebnisschilderungen und Episoden zu der Zeit des Nationalsozialismus. Im Laufe des Jahres 2022 entstand somit eine erste Dokumentation aus den Ereignissen der Zeit, die der Verein nun in einer Zusammenfassung präsentiert. Ziel des Vereines ist es, die Erinnerungen an diese Zeit zu erhalten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Kein Nachkomme soll dadurch stigmatisiert werden. Die handelnden Führungspersonen werden genannt, aber auch sie konnten nur mit Unterstützung der Masse handeln.
Im Rahmen der Recherche ist deutlich geworden, dass alle Orte der im Jahre 1971 gegründeten Gemeinde Neu-Eichenberg, bestehend aus Berge, Marzhausen, Hermannrode, Eichenberg und Hebenshausen gemeinsam zu betrachten sind. Sie wurden unter einer Führung der sog. Ortsgruppe geleitet.
Wilhelminische Großmannssucht (viele Männer trugen auch den Namen Wilhelm) und die allgemein herrschende völkische Bewegung nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, die das Land geradewegs auch auf den ersten Weltkrieg zusteuern ließen, fanden Ausdruck auch in vielen patriotischen Feiern aus allen möglichen Anlässen und Vereinen in den Dörfern wie Hebenshausen.
Aus den Schulchroniken der Dörfer ist aus vielen Zitaten, Liedern und Feierlichkeiten mit Fackelmärschen zu Ehren des Geburtstages des Kaisers und später des „Führers“ zu entnehmen, dass eine breite Unterstützung in der Bevölkerung bestand. Wegbereitende Institutionen der Zeit waren der „Kriegerverein Hebenshausen und Umgebung“ (gegr. 1892) und die „Kriegerkameradschaft Eichenberg“ (gegr. 1910) mit den jeweiligen örtlichen Gesangvereinen.

Der Volksschullehrer Franz Reimer schrieb in der Schulchronik von Hebenshausen ausführlich wohlwollend die Geschehnisse der Zeit von 1933-1937 nieder. Ab dem Jahr 1938 ändern sich die Ausführungen in eine reine chronologische Abfolge, was bei genauer Betrachtung des Buches der Schulchronik auf eine Manipulation der Aufzeichnungen schließen lässt. Sicher aus Angst vor möglichen Strafen durch die amerikanischen Soldaten, wurde der Zeitraum von 1938-1945 nachträglich verändert.

Im Jahr 1936 wurde die NSDAP-Ortsgruppe Eichenberg aus der Ortsgruppe Witzenhausen heraus gegründet. Die Ortsgruppe wurde von 1936 bis 1945 von drei Personen geleitet, Hr. Albrecht (1936-1938), Hr. Hartmann (1939-1941) und Hr. Meier (1942-1945).
Die wichtigsten Funktionen einer Ortsgruppe wurden besetzt, so gab es einen Schulungsleiter, Pressewart, NSV- und eine Frauenschaftsleitung. In den einzelnen Dörfern gab es die Zellenleiter Hr. Bühre für Berge, Hr. Arend für Eichenberg, Hr. Schröter für Hermannrode, Hr. Meier für Hebenshausen und in Marzhausen Hr. Zingräbe (bis 1943), sowie Hr. Stehling (bis 1945).

Die Jugend wurde in der HJ organisiert. So bestand in Hebenshausen eine HJ der Ortsgruppe mit BDM und Kükengruppe. Die theoretische Ausbildung der Jugend fand im Obergeschoss des 1938 neu gebauten Feuerwehrhauses in Hebenshausen statt. Die praktische Ausbildung, Schießen, Weitwurf und Geländelauf auf dem Kriegerkopf bei Hebenshausen. „Wir sind gern zum BDM-Unterricht gegangen. Es gab eine schöne Uniform, insbesondere das Halstuch. 2 Stunden pro Woche haben wir uns getroffen, in dieser Zeit mussten wir nicht auf dem Feld arbeiten“, so Erika Handwerk (90†) als Zeitzeugin in einem Gespräch 2022. Die HJ stellte auch Trommeln und Fanfahren zur Verfügung. „Wir haben im Ort Musik gemacht, das fanden alle störend. Da sind wir auf den „Fanfahrenhügel“ auf den Kriegerkopf gegangen. Dort haben wir die Instrumente spielen können, das hat man im ganzen Dorf gehört. Von dort konnten man auch die deutschen Jagdflieger beim Luftkampf beobachten“, erinnerte sich Karl-Heiz Skotarek (†) im Jahr 2016 als ehemaliger Hitlerjunge an diese Zeit.
Die wesentlichen Veranstaltungen der NSDAP Ortsgruppe fanden in Eichenberg und Hebenshausen statt, die heute noch größten Ortschaften der Gemeinde. In den Dörfern Marzhausen und Hermannrode und Berge lebten zu dieser Zeit viel weniger Familien. In Eichenberg wurde 1942 auch ein NSDAP Gemeinschaftsraum geschaffen, in dem es viele Veranstaltungen gab, am 8. November 1942 fand die erste große Veranstaltung dort statt.
Eine Partei-Veranstaltung aus dieser Zeit ist durch eine große Fotoserie erhalten geblieben, die durch die Recherche aus unterschiedlichen Quellen wieder zusammengeführt werden konnte. Die Einweihung des Kindergartens in Hebenshausen, am 9. Oktober 1937, ist auf starkes regionales Interesse gestoßen, denn der Gauleiter Weinrich erschien persönlich zur Einweihung. Dem Witzenhäuser-Kreisblatt ist dies sogar ein abgedrucktes Foto der Veranstaltung wert gewesen. Ein abgedrucktes Foto von einer örtlichen Veranstaltung im Kreis war sehr selten. So sind viele Personen in Uniform: SA, HJ bis zur BDM in Formation aufgestellt auf der Fotoserie zu sehen. 16 große Fahnenbanner und die Musikkappelle des Reichsarbeitsdienstes gaben der Veranstaltung einen besonderen Rahmen. Das Grundstück mit neuem Gebäude und neuem Inventar stellte die Rittergutsbesitzerin Hildegard Henschel der Gemeinde Hebenshausen zur Verfügung. Die Kindergärtnerin Fr. Änne Otterbach („die braune Schwester“ später genannt) wurde vom NSV gestellt, der NSV-Kreisleiter Kolckhorst war bei der Einweihung als Redner ebenfalls anwesend.

In Hebenshausen lebten bis zum Jahr 1940 sechs jüdische Einwohner. Die drei Geschwister Kugelmann, die zwei Brüder Hecht und ein Herr Hesse.
Ein Martyrium mussten die Geschwister Kugelmann bei den Novemberpogromen 1938 in Hebenshausen erleben. Die Kinder und Jugend des Ortes, bereits organisiert in der HJ, BDM und „Kükengruppe“ versuchten das baufällige Wohnhaus eines Nachmittags anzuzünden, während sich die Geschwister noch im Haus aufhielten. „Die haben geschrien, fürchterlich geschrien in dem Haus“, so erzählten es die älteren Einwohner von Hebenshausen. „Ich habe die BDM-Mädels auch dabei gesehen, ich konnte von unserem Garten aus hinüberschauen…“, so erzählt es Ursula Martin (90) aus Hebenshausen als letzte lebende Augenzeugin. Die Tat vollenden konnte die Jugend an diesem Tag nicht, der Lehrer Reimer hielt sie davon ab. Ob zum Schutz der Juden oder vor den Erinnerungen die bei Vollendung der Tat bleiben, ist unklar. Die über Monate zuvor eingeworfenen Fensterscheiben in der Synagoge und den Wohnhäusern der Juden, sowie das Nachrufen von Schimpfwörtern durch die Jugend verdeutlicht den antisemitischen Zeitgeist.
Der Brandstiftung am Tage nicht genug, wurde in der Nacht nochmals versucht die Geschwister Kugelmann zu ermorden. Einer Eidesstattlichen Versicherung ist zu entnehmen, dass Hr. Hermann Hoffmeister – früh morgens im November 1938 auf dem Weg zur Arbeit – einen angezündeten Strohsack in der Haustür entfernte, und damit den Tod der Geschwister und das Abbrennen des Hauses Kugelmann verhinderte. Dieser Sack wurde von den Geschwistern Kugelmann zum Abdichten der Haustür verwendet.
Das Haus Kugelmann war ein freistehendes Haus und hat nur ein Nachbargebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Gebrüder Hecht und Herr Hesse lebten zur Miete. Die Synagoge von Hebenshausen stand zu dicht am Gasthaus Waldmann, so hatte sich in der Zeit der Novemberpogrome der Antisemitismus am Haus der Geschwister Kugelmann, als „Objekt mit dem geringsten Risiko für die deutschen Nachbarn“, zeigen können.

Die Geschwister Kugelmann mussten im Jahr 1940 nach Witzenhausen „umziehen“ und sind von dort deportiert worden. Die Gebrüder Hecht wurden ebenfalls 1940 „abgeholt“. Der jüdische Einwohner Abraham Hesse überlebte durch den Einwand von Hildegard Henschel. Hr. Abraham Hessen sollte von Kassel aus nach Riga deportiert werden. Am Bahnhof in Kassel wurde er über Lautsprecher ausgerufen; er sollte zur Auskunft kommen. Dort wartete der Chauffeur der Rittergutsbesitzerin Hildegard Henschel und dieser brachte ihn zurück nach Hebenshausen.
Ein erhaltener Leserbrief aus dem Jahr 1939 an den „Stürmer“ zeigt, wie stark der Antisemitismus des im selben Haus wohnenden Vermieters des Hr. Hesse saß. Er versuchte Herrn Hesse und seine „deutschen Freunde“ mit folgenden Worten zu diskreditieren: „Es wäre angebracht zu veröffentlichen … dass der Jude Abraham Hesse mit den Volksgenossen … immer noch Kaffeevisiten abhält.“

In den Jahren 1941 bis 1943 kamen 28 Fremdarbeiter auf das Rittergut nach Hebenshausen. Sie wohnten in einem Gebäude des Rittergutes im Ort, welches heute noch als „Polenkaserne“ bekannt ist. Diese Fremdarbeiter kamen überwiegend aus Polen (20), aber auch aus der Ukraine (2), Niederlande (3) und Russland (3). Sie mussten auf den Feldern des Rittergutes arbeiten und bei Nichtgehorsam einige Tage im „Polenknast“ ausharren. Der Polenknast war die Eiskammer des Rittergutes.
Neben den Fremdarbeiten auf dem Rittergut waren viele einzelne Fremdarbeiter schon vor 1941 auf einzelnen Bauernhöfen im Ort zur Arbeit verpflichtet.

Am 16. August 1944 stürzte ein von der deutschen Luftwaffe abgeschossener Bomber vom Typ B17 Flying Fortress über dem Eichholz ab. Von neun Besatzungsmitgliedern überlebten nur zwei den Abschuss. Am nächsten Tag musste die Volksschulklasse die Absturzstelle besichtigen und auch die toten Soldaten, teilweise noch im Baum am Fallschirm hängend, ansehen.
„Ich erinnere mich noch wie heute, die Wespen haben bei einem Soldaten an seinem blutigem Hals gesessen, das war ein schreckliches Bild. Das werde ich nie vergessen. Ich habe nie verstanden warum wir uns das ansehen sollten.“, so Inge Vogelei (†) in einem Interview 2020.
Sieben tote Soldaten wurden auf dem Friedhof in Hebenshausen beerdigt, aber nach Kriegsende von den Amerikanern zurück in die Heimat geholt.
Erst am 8. April 1945 war der 2. Weltkrieg in Hebenshausen und den umliegenden Dörfern vorbei. Am Tag zuvor begann der Beschuss durch Artillerie und der zerstörte leicht einige Häuser, die nach Kriegsende wieder repariert werden konnten. Hastig aufgebaute Panzersperren erwiesen sich als wirkungslos. Eine Person wurde am Tag des Einmarsches erschossen, da sie aus dem Keller hervortrat – trotz Verbot, Frau Ella Werner.
Alle Bürger mussten sich an der Dorflinde versammeln und hatten große Angst. Alle Fahnen, Bilder, Bücher und (fast alle) Fotos wurde vorher verbrannt, dafür sorgte in Hebenshausen der Pressewart R. Liberty: „Ihr müsst alles Verbrennen, die Amerikaner kommen!“, so lief er von Haus zu Haus erinnert sich Ursula Martin.

Der Schulchronik, die nach 1945 wieder ausführlicher geführt wurde, ist zu entnehmen, dass die Amerikaner als Besatzer und nicht als Befreier anerkannt waren. Der Bürgermeister Schaumburg-Stiehl schrieb 1946 aufgrund einer Nachfrage zu toten Alliierten Soldaten auf dem Friedhof von Hebenshausen von „amerikanischen Helden“, die auf dem Friedhof beerdigt wurden.

Die Einwohnerzahl des Dorfes verdoppelte sich nahezu durch die Flüchtlingsströme aus dem Osten in den ersten Nachkriegsjahren, viele Familien siedelten sich dauerhaft in Hebenshausen an.
Auch hier waren, wie überall im besiegten Deutschland, Lebensmittel und Wohnraum knapp, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen denen, die nichts hatten und denen, die teilen mussten.
Eine neue herausfordernde Zeit, über die in einem anderen Artikel berichtet werden soll.

Anmerkung:

Am 5. März 2023 stellte der Verein die Geschehnisse der Zeit des Nationalsozialismus der Öffentlichkeit vor. Eine Woche lang, war die Ausstellung in der Gemeindeverwaltung zu sehen. An drei Veranstaltungen wurden die Geschehnisse erläutert, zu den insgesamt 99 Personen erschienen.

Die folgenden Bildern zeigen die Veranstaltungen zur Ausstellung im Bürgertreff der Gemeinde Neu-Eichenberg:

Die folgende Bild zeigt die Fahne des Krieger- und Gesangvereins, mit den Ehrenchroniken und einem Original „NSDAP-Heimatbrief“

Die folgende Bild zeigt die bei Waldarbeiten entdeckten Zufallsfunde von Munitionsresten an der Absturzstelle des Bombers B17.

Das folgende Foto zeigt die Zeitzeugen Rosi Skotarek, Ursula Martin und den Bürgermeister Marcus Stolle (re) sowie den Vorsitzenden Lars Klein (li)

Artikel der Tageszeitung HNA als Symbolfoto, vom 07.03.2023


Autor:
Lars Klein

Quellen:
Spruchkammerbescheide der Spruchkammer Witzenhausen
Strafregister Hebenshausen 1933-1945
Chroniken der Volksschullehrer Hebenshausen, Hermannrode, Marzhausen und Eichenberg
Stadtarchiv Witzenhausen, Zeitungsartikel Witzenhäuser Kreisblatt
Stadtarchiv Witzenhausen, allg. Schriftverkehr
Heimatbriefe der NSDAP – Kreisleitung Witzenhausen
Schriftverkehr der Gemeinde Hebenshausen 1933-1950
Fotosammlung der Familie Hildegard Henschel
Fotos der Hebenshäuser Familien (ca. 40 Familien)
Gespräche mit Hebenshäusern als Zeitzeugen
Gemeindearchiv Hebenshausen
Bundesarchiv Zentralkartei, Gaukartei
Bürgerzeitung Neu-Eichenberg
Leserbrief an „Der Stürmer“
Organisationshandbuch der NSDAP

Begrüßung der Ortsgruppe durch Gauleiter Weinrich (mitte) und NSV Kreisleiter Kolckhorst (rechts)

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