Kriegsbericht von Valentin Skotarek

Vorwort von Lars Klein (Ur-Ur-Enkel von Valentin Skotarek)

Der Kriegsbericht des Valentin Skotarek gehört auch zur Ortsgeschichte von Hebenshausen und sollte nicht unerwähnt bleiben. Herr Valentin Skotarek, geboren am 11. Februar 1847, ist als Eisenbahnarbeiter im Jahr 1873 hier nach Eichenberg gelangt und sesshaft geworden. Die Familie lebte einst im Ort Eichenberg (heute Eichenberg-Dorf). Der frühe Unfall-Tod seines Sohnes Karl, er wurde beim Rangieren von Zügen zwischen zwei Waggon-Puffern zerquetscht, hatte der Familie Skotarek das Wohnen in Eichenberg unerträglich gemacht und daraufhin verzogen sie nach Hebenshausen in die Bachstraße. Sie verkauften ihr Haus in Eichenberg und kauften das Haus mit der Hausnummer 26, heute die Bachstraße 27. Dort wohnte der Valentin Skotarek, während seines letzten Lebensjahre, mit seiner Schwiegertochter Alwine und ihren Kindern (Gustav, Anna, Gretchen, Emma) im Obergeschoss dieses Hauses. Im Erdgeschoss wohnte sein Enkel Gustav Skotarek mit seiner Frau Ida und den 5 Kindern (Heinrich (Karl-Heinz), Walter, Marianne, Edeltraud und Renate). Er verstarb am 30. Januar 1937, 12 Tage vor seinem 90. Geburtstag. Zu ehren seines Geburtstages sollte eine Kapelle spielen, die war auch schon bestellt…

Leider ist nicht bekannt wer diesen folgenden Bericht mit einer Schreibmaschine tippte. Das Lesen und Schreiben hat der Valentin Skotarek nie erlernt.

Kriegsbericht des Vetranen
VALENTIN SKOTAREK
in Eichenberg

Archivummer 011021

VALENTIN SKOTAREK wurde geboren am 11. Februar 1847 in Vioska bei Rackwitz, Provinz Posen. Ich bin zum Militär eingetreten im Jahre 1868 und zwar beim 5. Artillerie-Regiment 4. Batterie in Sprottau in Schlesien, dann wurde ich versetzt zur 6. Batterie nach Posen.
Als ich zur Reserve kommen sollte, brach der Krieg aus. An einem Sonntage nach dem Apell wurde uns das mitgeteilt, wir mussten Kartuschen in Fässer verladen und uns marschfertig machen. Montag zogen wir Paradeanzug an, legten die Pferdegeschirre auf und zogen nach den benachbarten Dörfern ins Quartier. Dienstag sind wir verladen, dann gings 4 Tag und 4 Nächte nach Frankfurt, wo wir nachts 12 Uhr ankamen, dort wurde gegessen und die Pferde getränkt, dann gings weiter bis an die französische Grenze, wo wir gleich bei unserer Ankunft in das Gefecht bei Weisenberg am 4. August eingriffen. Nachdem wir Weisenburg gestürmt hatten, folgten wir dem Feinde unter seinem tapferen Führer Mac Mahon und griffen ihn bei Wörth an. Schon morgens um 4 Uhr gings los. Der Feind hatte eine gute Stellung, wir gingen vor und wurden von den Franzosen heftig beschossen, eine Gewehrsalve folgte auf die andere, so gings bis nachmittags 5 Uhr. Die Franzosen steckten hinter einer Mauer mit Schiessscharten – rechts war der Bahnhof. Unsere Infanterie konnte sie nicht vertreiben, da mussten wir die Mauer zusammenschiessen (es war etwa 3/4 Std., so weit wir von hier nach Unterrrieden), nachher lagen die Franzosen dahinter wie gemäht. Uns ging beinahe die Munition aus, die Munitions-Kolonne war fast 1 Stunder hinter uns. Hätten die Franzosen da gestürmt, wir hätten zurückmüssen. Aber der Widerstand der Franzosen war gebrochen, sie zogen die weisse Flagge auf. Wir sahen aus wie die Schornsteinfeger, den ganzen Tag hatten wir nicht szu essen, der Proviant befand sich 3 Stunden hinter uns. Wir hatten auch grosse Verluste. In meiner Batterie erhielt unser Feldwebel einen Schuss durch die Hand, dem Obergefreiten wurde die grosse Zehe angeschossen, ein anderer wurde durch einen Granatsplitter am Kopfe und dich selbst durch einen Splitter am Arm verwundet. Von WQeissenburg bis Wörth sind es nach meiner Schätzung 5-6 Stunden, die Franzosen hatten nicht erwartet, dass wir so schnell hinter ihnen her wären, sie waren ziemlich sorglos und hatten gerade abgekocht, wir dagegen marschierten immer sorgfältig, indem Cavallerie-Patrouillen voran ritten und seitwärts unsere Flanken deckten. Wir hatten die Franzosen umzingelt und sie ergaben sich mit 8000Mann, es waren auch viele Turkos und Zuaven dabei. Die Turkos konnten nicht laufen, wenn ihre lang herunterhängenden Pumphosen nass waren. Die Franzosen kamen nach Weissenburg ins Biwak. Ich wurde nun Bursche bei unserem Stabsarzte. Wir ruhten nun eine Nacht, dann gings weiter auf die Mosel zu immer den Franzosen nach. Unterwegs hatten wir immer kleine Gefechte und Scharmützel zu bestehen, es kam uns fast so vor, als wenn wir Manöver hätten. Dann ging der Marsch auf Sedan nach der belgischen Grenze zu. Bei Sedan lagen wir an einer Chausee. Da ging das Schiessen los morgens 4 Uhr und dauerte bis nachmittags 5 Uhr. Die Franzosen lagen an der Höhe (wie von uns aus nach dem Holze beim Kohlacker). Ein Schuss fiel vor uns nieder. Wir wussten nicht, woher er kam. Da sprach der Hauptmann: Seht mal zu, woher der Rauch kommt. Da hielten wir auf das Holz. Das Holz fiel, als wenn das Gewitter eingeschlagen hätte, nun kamen die Franzosen herausgelaufen, ihre Artillerie aber konnten sie nicht alle mitkriegen. Gegen Abend zogen sie die weisse Flagge auf. Wir hatten einen grossen Sieg errungen, der Kaiser Napoleon und eine ganze Armee war gefangen.
Von da marschierten wir nach Paris zur 4. Schlacht. Das war eine ganze Ecke weit. Wir kamen oft ins Quartier. Alles war weg, das Haus war wie ausgestorben, nur ein altes Mütterchen war zuweilen noch da. Manchmal requirierten wir Essen. Der Hauptmann schrieb einen Zettel an den Maire, so und so viel sollte hergebracht werden. Oft requirierten wir Essen auf eigene Faust. Besonders die Bayern waren darin geübt. Als das Hauptquartier in Versailles war, hatten wir unser Quartier in Sausieres in einem schönen Haus. Da war ich Bursche beim Stabsarzte. Manchmal gingen wir in den Keller und suchten und fanden Wein in Fülle. Unsere Artillerie hatte es vor Paris schlecht, weil die Franzosen mit aller Gewalt ausbrechen wollten. Alle Nacht mussten wir auf Posten sein, nachts im Biwak liegen auf nassem Stroh – war sehr schlimm, mancher hat sich da für zeitlebens Rheumatismus geholt. Einmal habe ich da auch den Kaiser WILHELM gesehen, er kam im Wagen vorbei, wir mussten stramm stehen. Als Paris endlich kapitulierte, war alles ausgehungert und abgemagert. Fast 4 Stunden lang fuhren die Wagen und Chaisden an uns vorbei und die darin sassen, sahen alle verhungert aus. Vorher hatten wir einen Abstecher nach Orelans gemacht, um den Bayern etwas Luft zu machen. Wir waren 8 Tage auf dem Marsche, vom 4.-12. Januar. Bei Orleans bezogen wir Standquartier. Da gings scharf her. Wir lagen dort bis Mai. Zuletzt kam ich nicht mehr ins Feuer, weil ich Bursche beim Stabsarzte war. Bald kam der Frieden. Da gings mit der Eisenbahn nach Mühlhausen im Elsass und von da durch die Bayern nach Posen, wo wir festlich empfangen wurden, nachdem wir ¾ Jahr in Feindes Land gewesen waren. In Posen wurden wir entlassen, dann ging ich zu Hause, von da nach Berlin und als die Eisenbahn 1873 hier erbaut wurde, kam ich nach Eichenberg und habe mich hier niedergelassen.
Wir haben in Frankreich viel durchgemacht, oft haben wir im Nassen gelegen und hatten als Decke nur unseren Mantel. Dazu waren wir keinen Augenblick sicher. Die Franzosen, namentlich die Franktireurs waren zu hinterlistig und schlecht. Am Tage arbeiteten sie oder gingen umher als friedliche Bauern im blauen Kittel und nachts suchten sie die verhassten Prussiens zu überfallen. Einst hatte eine halbe Schwadron Ulanen, nachdem sie 3-4 Tage marschiert waren, abends ihre Pferde in die Scheune gebracht und gefüttert; sie selbst total müde, hatten sich ins Heu gelegt. In der Nacht wurden sie von Franktireurs überrumpelt und ihnen der Hals abgeschnitten. Dafür wurde am anderen Tage das Dorf umzingelt, kein Mensch durfte heraus und die bayrische Artillerie schoss das Dorf in Brand. In Sausiers lag ein Landwehrmann bei einem alten Ehepaare. Als am Morgen Compagnie abmarschierten wollte, fehlte der Mann. Der Feldwebel und einige Soldaten forschten im Quartiere nach. Als sie in die Kammer kamen, sagen sie Blutspuren, sie suchten weiter und fanden im Garten eine frisch gegrabene Stelle und darin den vermissten Kameraden. Sie hatten ihm den Hals abgeschnitten. Die beiden Mörder wurden an den Beinen aufgehängt. Zwei Bayern wollten sich Heu aus der Scheune holen. Nach getaner Arbeit legten sie sich ermüdet ins Heu, um zu schlafen. Sie wurden im Schlafe ermordet. Einmal kamen wir in einem Dorfe in ein Quartier und zwar mit Verpflegung. Die Wirtsleute sagten aber, sie hätten selber nichts. Da suchte unsere Captain d’armes im Keller nach und fand nach längerem Suchen im Sande verscharrt viele Töpfe mit Fleisch und Wein. Die Wirtsleute machten aber sehr verdutzte Gesichter. Sie mussten erst probieren und dann liessen wir es uns gut schmecken.
Ein andermal hatten wir grossen Spass.
Ein Unteroffizier und 10 Mann, darunter auch ich, waren 2 Tage auf Pferdekommando. Als wir glücklich jeder 4 Pferde requiriert hatten und auf dem Heimwege waren, gelangten wir am Ende eines Dorfes an eine grosse Ziegelei. Wir beschlossen, hier zu übernachten. Im Dorfe war kein Mensch zu sehen. Wir fütterten erst unsere Pferde und dann gingen wir ins Haus, um auch etwas zu essen. Als wir in die Stube traten, sahen wir nur einen Mann zu Hause. Unser Unteroffizier konnte etwas französisch und verlangte vom dem Hauswirte Kartoffeln und Salz. Der Mann antwortete barsch, er hätte nichts. Dabei stand er immer vor dem Wandschranke. Zum Kuckuck sagte der Unteroffizier, was steht er immer vor dem Schranke! Er schob den Mann vom Schranke weg, wir brachen den Schrank auf und fanden nun lauter Wurst, Schinken und Fleisch. Wir setzten uns an den Tisch und lebten herrlich und in Freuden und steckten noch einen grossen Vorrat in unsere Satteltaschen. Wir hatten kein Arg daraus, dass der Mann mittlerweile hinaus gegangen war, es war draussen dunkel. Da hörten wir auf der Strasse ein merkwürdiges Gemurmel und Laufen, verdächtige Gestalten nahten sich unserem Gehöfte, die es auf uns abgesehen hatten. Es war die höchste Zeit, dass wir uns davon machten. Wir zogen blank, nahmen jeder seine 4 Pferde vom Zaune, wir gaben dem Pferde die Sporen und im Galopp sprengten wir aus dem Dorfe heraus. Wir waren unserer 11, aber hinter uns her waren etwa 30-40 französische Bauern, die in rasender Wut 5-600Meter fluchend hinter uns herliefen und aus Pistolen und Revolvern Schüsse hinter uns her abfeuerten. Glücklicherweise kamen wir heil davon.
Unser General hiess von BORIES, Hauptmann REICHE, Leutnant von POLENZER, Sekondeleutnant MARTIUS, Vizefeldwebel SAUER. Einem von unserem Unteroffizieren ging es schlecht. Er kam einst in ein Haus zu reichen Leuten; er steckte sich dort eine goldene Uhr heimlich ein, dafür wurde er degradiert und bekam noch ein Jahr Gefängnis. Es wurde uns auch immer gesagt, war Ihr zu Eurer Nahrung und Notdurft unbedingt gebraucht, dürft Ihr nehmen, aber kein Geld und Wertsachen.

Das ist es, was ich an Erlebnissen zu erzählen weiss. Ich bin heute stolz darauf, den grossen Krieg mitgemacht zu haben!

 

Auf dem folgenden „Ariernachweis“ unterschrieb Herr Valentin Skotarek mit „X X X“.

Archivnummer 011029

 


Autor:
Valentin Skotarek
Layout Ur-Ur Enkel Lars Klein

Quellen:
Familienarchiv Skotarek, Kanngießer, Klein

Valentin Skotarek mit seinen Enkeln Karl-Heinz und Marianne
Deckblatt des originale Kriegsberichtes 1913
Deckblatt des originale Kriegsberichtes 1913

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